Mittwoch, 2. März 2016

Warum Lamborghini der Centenario misslungen ist

"Grr! Schaut mich an! Ich will euren Erstgeborenen verspeisen!". Das, so wohl die Anweisungen an den Designer, sollte das neue Sondermodell ausstrahlen, als es von Lamborghini hieß, dass man es in Genf vorstellen möchte. Heraus kam dieses hässliche Entlein. Zugegeben, Schönheit liegt im Auge des Betrachters; wenn jemand das Auto attraktiv findet, dann ist das seine berechtigte Meinung. Nicht das Aussehen ist der Grund, weshalb ich denke, dass der Centenario - wenn kein Klogriff - dann eine Beleidigung ist.

Unter der sophistizierten Kohlefaserhaut verbirgt sich die Basis des Lamborghini Aventadors, befeuert wird der Wagen vom selben 6,5 Liter V12, welcher in dieser Ausführung jedoch mehr Leistung produziert, als alle Lamborghinis zuvor. 770 Pferde befördern den 1520 kg leichten Centenario in 2,8 Sekunden von 0-100 bei einem Drehzahlbereich bis 8600 Umdrehungen pro Minute. Das alles wird kombiniert mit einer der wohl ausgefeiltesten Aerodynamiken seit dem Sesto Elemento.

Beim Centenario handelt es sich um ein hyper-exklusives Sondermodell, ähnlich wie der Reventón, der in der Frankfurter Automesse in 2007 vorgestellt wurde. Anders als beim Reventón, welcher bis auf die Karosserie nahezu vollständig ein Lamborghini Murciélago LP640-4 war, wurde die Aventador LP700-4 Chassis- und Motorbasis vom Centenario umfangreich überarbeitet, um die oben genannten Zahlen zu erreichen. Genau wie der Reventón ist der Centenario auf 20 Coupés und 20 Roadster limitiert.

Auf dem Papier also das feinste vom feinsten aus Sant'Agata. Was mich stört ist hingegen nicht das, was sich auf dem Papier liest. Als Richard Hammond den Huracán für TopGear fuhr, beschrieb er das Auto als Meisterstück der Ingenieurskunst. Als Sportwagen, der die Kerze gegen Ferrari und McLaren halten kann. Ein Auto dass er respektiert. Aber lieben? Der Huracán sei "wohl ein besseres Auto als alle anderen Lamborghinis. Aber alle anderen Lamborghinis sind bessere Lamborghinis".

Hammond fehlte es an Lamborghininess. Der Wagen fühlte sich zahm und präzise an, wenn man ihn auf der Straße fährt und entfacht die für die Marke typische Psychopath-heit erst, wenn man ihn auf der Rennstrecke oder dem privaten Flugplatz loslässt. Ähnliche Bedenken äußerte der Journalist auch beim Lamborghini Aventador. Man hat nicht das Gefühl, als wolle das Auto den Fahrer umbringen, wie etwa beim Miura, Countach, Diablo oder sogar dem Murciélago, wobei doch gerade dieses Gefühl das Erlebnis bei diesen Autos ist.

Dem Centenario fehlt es sicherlich nicht an dieser Serienmördermentalität. Obwohl ich mir vorstellen kann, dass die ausgefeilte Aerodynamik an dem Wagen dafür sorgt, dass er relativ easy auf der Rennstrecke ist, beißen die 770 PS unerfahrene Fahrer bei dieser Art von Gewicht gewiss. Egal, welch hochtechnologisierte Vorgänge in dem Wagen vorgehen; schaltet man die Traktionskontrolle aus, bin ich mir sicher, der Wagen wird zu dem Witwenmacher, nachdem er auch aussieht.

Genau diese "Art" ist falsch. Zumindest beim Centenario. Denn während ich mit Hammond mitgehe, dass Lamborghini in unserem Verständnis solche Autos zu bauen hat, so war das nicht immer der Fall. Dies wiederum ist insofern wichtig, als dass das Unternehmen mit diesem Modell feiert, was der 100. Geburtstag des Firmengründers, Ferruccio Lamborghini, gewesen wäre, welcher mit seinem "besseren Ferrari" den ersten seiner Art auf die Welt losließ.

Wir alle kennen wahrscheinlich die Geschichte. Ferruccio, welcher nach dem Krieg Kriegsgeräte zu Landwirtschaftsmaschinen umbaute, war unzufrieden mit seinem Ferrari. Er ging zu Enzo und gab ihm Hinweise, wie der Wagen verbessert werden sollte. Enzo hingegen war beleidigt, dass ein kleinlicher Traktorenbauer ihm sagen will, wie man Sportwagen zu bauen hat, also wies er ihn ab und Ferruccio baute kurzerhand sein eigenen.

Er heuerte die selben Ingenieure an, die für den Ferrari 250 GTO zuständig waren, um einen Motor zu bauen, der ähnlich aufgebaut sein soll, wie der 3 Liter V12 aus dem 250, jedoch nicht mit den Charakteristiken eines Rennmotors, sondern klar für schnelles und bequemes Fahren ausbalanciert. Er war mit dem 3,5 Liter V12, mit seinem Drehzahlbereich der bis 9800 Umdrehungen pro Minute reicht, nicht einverstanden und wehrte sich, die Ingenieure zu bezahlen, bis ihn ein Gericht dazu zwang.

Für das Chassis stellte er mit Dallara ebenfalls einen Hersteller ein, der bereits für Ferrari aber auch Maserati gearbeitet hat. Nachdem der Wagen dann ohne Motor in Turin präsentiert wurde, wo die Motorbucht mit Ziegelsteinen gefüllt wurde damit die Aufhängung vorn nicht hoch steht, verbaute Lamborghini schließlich eine im eigenen Haus überarbeitete Version des unzufriedenstellenden Motors, welcher nun nicht mehr 360 PS sondern 280 PS leistet. Der Lamborghini 350GT war geboren.

Foto: Ralf Roletschek / Wikimedia Commons
Lamborghini 350GT

Mit dem 350GT schaffte sich Lamborghini das, was er bei Ferrari nicht fand; den ultimativen GT (siehe Sportwagendefinition nach Regautoblog). Das, nichts anderes, wollte Ferruccio Lamborghini mit seinem Unternehmen bezwecken. Um den Miura zu bauen, welcher als Urvater der Hypersportwagen und verrückten Lamborghinis gilt, musste Ferruccio von seinen Mitarbeitern überredet werden, weil ein vulgärer Sportwagen gegen seine Firmenmentalität spricht.

Als seine Mitarbeiter ihm Konzepte vorstellten, die den Miura ablösen sollten, welche über teils revoluzionäre Stilelemente wie die Flügeltüren verfügte, für die die Marke ja später berühmt wurde, blockte Ferruccio sie alle, weil sie zu aufbrausend waren. Bei ersten Konzepten des LP500, welcher Jahre später, nachdem Ferruccio seine Anteile an Lamborghini verkaufte, zum Countach werden sollte, musste der Motor weiter von der Fahrerkabine weg verlegt werden, weil der Wagen ihm während der Fahrt zu laut war.

Ferruccio Lamborghini stand gegen alles, was Richard Hammond beziehungsweise die Welt in Lamborghinis sehen will. Countach und Diablo sahen die Welt erst, nachdem er schon lange zurückgetreten ist. Ich möchte keinesfalls sagen, dass Lamborghini als Marke den falschen Weg gegangen ist; Ferruccio wollte nie eine ultraprofitable Weltmarke bauen, sondern sah seine Mission, die perfekten großen Tourenwagen zu bauen, mit dem 350GT bzw. 4000GT fast schon erledigt.

Das ist natürlich keine Mentalität um ein Unternehmen auf langer Sicht auf starken Beinen stehen zu lassen, auch wenn das und allgemein alles an der Geschichte von Lamborghini so unglaublich italienisch ist. Außerdem ist es keinesfalls so, als hätten Diablo, Murciélago und co. keinen Charme; nicht umsonst thronten sie auf Postern über Betten von kleinen Jungs auf der ganzen Welt. Ich hätte es als Kopf von Lamborghini wohl nicht besser hinbekommen.

Aber mir geht es hier nicht um Lamborghini als Marke und wie ein Lamborghini sein soll. Mir geht es um den Centenario. Ein Auto, dass einem Mann gewidmet ist, der mit Kopf und Herz erst Farmer mit nötiger Maschinerie versorgte um dann ein Unternehmen zu gründen, dass vielen Italienern Arbeit beschaffte, um seine Vision des ultimativen Sportwagens zu verwirklichen, auch wenn er seine Ärmel hochkrempeln und mitarbeiten muss.

Wenn Feruccio den Centenario sehen könnte, mit seinem gigantischen Diffusor, kreuz und quer verteilten Aerodynamikelementen, dem Flügel und dem brüllenden V12, er würde weinen, weil seine Firma denkt, dass ihm dieser Wagen gerecht wird. Und auch, wenn die Zielgruppe lächerlich reiche Autosammler und Öl-Scheichs sind, die ihren Wagen entweder in eine Garage verstauben lassen oder in schlechten YouTube-Montagen damit durch die Wüste rasen, so konnte ich nicht anders, als meinen Demut über den Centenario in diesem Blogeintrag äußern.

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